Das Paar Özlem Türeci und Ugur Sahin – Impfstoff-Helden

Die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci sind zu weltweit gefeierten Wissenschaftsstars geworden. Trotz des kometenhaften Aufstiegs bleiben sie öffentlichkeitsscheu. Wie groß das Wagnis war, wird klar, wenn man sich die Firma genauer anschaut.

Das Paar Özlem Türeci und Ugur Sahin sorgt derzeit weltweit für Schlagzeilen. Ihre Karrieren sind nebenbei Bilderbuchgeschichten erfolgreicher Integration. 2008 gründeten sie in Mainz die Firma Biontech, dann folgte der Börsengang – und schließlich die Pandemie. Quelle: WELT / Fanny Juschten© WELT / Fanny Juschten Das Paar Özlem Türeci und Ugur Sahin sorgt derzeit weltweit für Schlagzeilen. Ihre Karrieren sind nebenbei Bilderbuchgeschichten erfolgreicher Integration. 2008 gründeten sie in Mainz die Firma Biontech, dann folgte der Börsengang – und schließlich die Pandemie. Quelle: WELT / Fanny Juschten

Manchmal kann sogar ein altes Mountainbike dabei helfen, einen Menschen zu beschreiben. Das eher klapprige, blaue Gefährt ist das Dienstfahrzeug des wohl berühmtesten deutschen Firmengründers dieser Tage.

Ugur Sahin, seines Zeichens Firmenchef von Biontech, fährt damit regelmäßig von der Familienwohnung zur nahe gelegenen Firmenzentrale in Mainz. Dabei wäre für den 55-Jährigen mittlerweile längst eine Flotte aus Dienstfahrzeugen drin, inklusive Chauffeur.

Doch auf solche Statussymbole kann Sahin, so berichten es enge Weggefährten, weiterhin getrost verzichten. Nicht, um damit bewusst ein Zeichen zu setzen – sondern weil es ihm schlicht nichts bedeutet.

Sahin, im türkischen Iskenderun geboren und in Köln aufgewachsen, ist alles Mögliche: Familienvater, Ehemann, Wissenschaftler, Molekularbiologie, Mediziner, Gründer, Manager, Integrationsvorbild, Universitätsprofessor, Börsenmilliardär und mittlerweile einer der bekanntesten Menschen der Welt.

Ein deutscher Elon Musk allerdings, der die Öffentlichkeit sucht, um seine Ideen zu vermarkten, das ist er nicht, obwohl der Vergleich angesichts des kometenhaften Aufstiegs durchaus naheliegt.

Oft wirkt es eher so, als sei Sahin der plötzliche Ruhm, den die erfolgreiche Entwicklung des weltweit ersten Impfstoffes gegen Corona mit sich gebracht hat, eher unangenehm: eine Nebenwirkung des wissenschaftlichen Erfolges, der dazu beiträgt, die Welt von der Pandemie zu befreien. Ganz sicher aber nicht das Ziel.

Sahin ist sich darin sehr einig mit seiner Frau Özlem Türeci. Diese hat wie er als Krebsärztin begonnen und als Forschungschefin von Biontech mit ihm gemeinsam im vergangenen Jahr den Impfstoff Comirnaty in die Welt gebracht und damit der Menschheit den ersten Impfstoff gegen Corona beschert. Seitdem feiert die Welt das bescheidene Gründerehepaar aus Mainz. Am Donnerstag wird ihnen für ihre Verdienste der Axel Springer Award verliehen.

Ende der Woche folgt das Bundesverdienstkreuz, und sogar der Nobelpreis wird ihnen zugetraut, obwohl diese Auszeichnung höchst selten für medizinische Anwendungen verliehen wird und deshalb trotz des weltweiten Beifalls eher unwahrscheinlich ist.

So oder so – Sahin und Türeci werden bei Ehrungen wie diesen herausstellen, dass sie sich mit ihrer Firma gewiss nicht in den weltweiten Wettlauf um einen Impfstoff begeben hätten, wenn sie nicht sicher gewesen wären, einen nennenswerten Beitrag leisten zu können.

Und sie werden die Gelegenheit nutzen, Werbung für den Forschungsstandort Deutschland zu machen, der in der Wahrnehmung von Politik und Öffentlichkeit bisher oft zu kurz gekommen ist und nun dank Biontech plötzlich auch im Rampenlicht steht. „Die Krise als Chance begreifen“ nennen die beiden das gern.

Sahin muss in keinem Kalender oder Notizbuch blättern, um sich an die Abfolge der dramatischen Entscheidungen im vergangenen Jahr zu erinnern. Seine wachsende Unruhe, als er den ersten Aufsatz im medizinischen Fachjournal „The Lancet“ über mehrere Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit in China las.

Die ersten Gespräche mit seiner Frau, mit dem Team, mit den Investoren über die Pandemie, die da auf die Welt zurollte. „An Ostern“, war sich Sahin schon Anfang Februar sicher, „sind in Deutschland die Schulen zu.“

Während die Weltgesundheitsorganisation noch abwiegelte, traf der Firmenchef gemeinsam mit seinem Team bereits die Vorbereitungen für das Projekt Lightspeed. Ein Impfstoff musste her, möglichst schnell, wie in Lichtgeschwindigkeit entwickelt.

Wie groß das Wagnis war, wird klar, wenn man sich die Firma etwas genauer anschaut. Biontech ist bereits 2008 gegründet worden, Unternehmenssitz ist an der aus heutiger Sicht geradezu hellseherisch wirkenden Adresse „An der Goldgrube“ in Mainz – bei Biontech können sie die Anspielungen darauf schon nicht mehr hören.

Der Standort ist praktisch, in Laufweite zur Universität, wo Sahin und Türeci lange als Onkologen tätig waren. Doch ein marktreifes Produkt gab es zu jenem Zeitpunkt zu Beginn des Jahres 2020 noch nicht.

Knapp 30 Projekte hat Biontech in der Pipeline, Krebstherapien vor allem, aber auch der ein oder andere Impfstoff etwa gegen Influenza und HIV ist dabei. Um die ehrgeizigen Projekte voranzubringen und große klinische Studien durchführen zu können, benötigen Firmen wie Biontech regelmäßig frisches Kapital. Doch das ist in Deutschland schwer zu bekommen.

Ein Schaubild hat gereicht, den Investor zu überzeugen

Als Glücksfall erwies sich, dass der Venture-Capital Investor Michael Motschmann mit seinen MIG-Fonds früh auf das Forscherehepaar aufmerksam wurde, damals waren Türeci und Sahin mit ihrer ersten Firmengründung Ganymed gerade durchgestartet.

Ein einziges Schaubild soll gereicht haben, um den Investor von der Qualität der beiden und ihrer Ansätze zu überzeugen: eine Kurve mit den Überlebensraten von Brustkrebspatientinnen mit und ohne Behandlung. Selbst bei den nach herkömmlicher Art Therapierten klafft noch eine Lücke, längst nicht jede kann geheilt werden.

In diese Lücke vorzustoßen und damit dem Arsenal gegen den Krebs neue Waffen hinzuzufügen – das war und ist das eigentliche Ziel des Biontech-Paares. Darum, das hat Türeci in einem öffentlichen Interview mit Kanzlerin Merkel im vergangenen Jahr sehr entschieden betont, wollen sie sich wieder mit voller Kraft kümmern, sobald die Pandemie gebändigt ist.

Als durch und durch „technologie-agnostisch“ beschreibt Matthias Kromayer, einer ihrer frühen Entdecker und heute im Vorstand bei MIG, die beiden: „Beide denken vom Ende her. Viele Wissenschaftler verlieben sich in ihr Sujet. Ugur und Özlem geht es einzig um die Ergebnisse. Darum, wie man aus einer guten Idee eine ideale macht.“

Für manche aus der Biotech-Szene ist Sahin sogar einer der besten mRNA-Experten weltweit. Er selbst vergleicht sich eher mit einem Immuningenieur – stets auf der Suche nach neuen Bausteinen, um das bestmögliche Ergebnis für die Patienten zu erzielen.

Türeci, die auch wegen der gemeinsamen Tochter noch seltener in der Öffentlichkeit auftritt als ihr Mann, steht dabei keineswegs im Schatten. Wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht das Paar grundsätzlich gemeinsam, die beiden gelten als kongeniale Partner. „Es ist von außen unmöglich zu sagen, wer welche Idee hat. Sie inspirieren sich gegenseitig“, beschreibt Kromayer die Arbeitsweise des Paares.

Doch auch Sahin und Türeci mussten das Managerdasein erst lernen, wie sie selbst einräumen. Allen voran die schwierige Fokussierung auf nur wenige Projekte, weil auch so langmütige Investoren wie die Gebrüder Thomas und Andreas Strüngmann nicht endlos tiefe Taschen haben.

Um in neue Dimensionen vorzustoßen, wagte das Unternehmen 2019 den Börsengang. In den USA, nicht in Deutschland wohlgemerkt, und stieß dort zunächst nur auf verhaltenes Interesse. Die mRNA-Technologie, auf die Biontech unter anderem setzt, erschien vielen zu kompliziert, die Chancen der Krebsprojekte schwer einschätzbar.

Heute gehört die kleine Firma aus Mainz zu einem der Stars der Szene. Der Börsenwert ist in dieser Zeit von 3,8 Milliarden auf über 24 Milliarden Dollar gestiegen. Der Börsenerfolg hat Sahin, der rund 17 Prozent der Anteile hält, einen Platz unter den 500 Superreichen der Welt beschert.

Am späten Abend telefonieren sie noch mit dem Pfizer-Team

Doch er selbst macht sich daraus wenig. „Wir lassen uns nicht von Börsenkursen leiten, sondern von dem, was wir mit unserer Arbeit beeinflussen können. Mich beschäftigt nicht der tägliche Börsenkurs, sondern die Daten aus unseren Studien“, so hat er es in einem Gespräch mit WELT im vergangenen Jahr formuliert.

Diese Daten und alles, was damit zusammenhängt, hatten Sahin und Türeci in den langen Monaten des Lockdowns immer im Blick, vom frühen Morgen, wenn Verhandlungen mit dem Partner Fosun in China anstanden, bis zum späten Abend, wenn es um Absprachen mit dem Team von Partner Pfizer in den USA ging.

Anders als die Biotech-Konkurrenten Moderna und CureVac hatte sich Biontech für die Entwicklung des eigenen Corona-Impfstoffes schon früh große Partner ins Boot geholt. Ein kluger Schachzug, denn die erforderlichen Massenstudien mit zigtausend Probanden und die weltweite Vermarktung des Impfstoffes wären für eine Firma mit gerade einmal 1300 Mitarbeitern nicht zu stemmen gewesen.

Seit Comirnaty zugelassen wurde, ist für Sahin und Türeci noch eine ganz neue Seite ihres Wirkens hinzugekommen: Plötzlich hat alles auch eine politische Dimension. Dem bundesweiten Stolz über den ersten Impfstoff der Welt aus Deutschland folgte bald darauf eine hitzige politische Debatte über die zu zögerliche Bestellpolitik der EU.

Ausgerechnet Deutschland, wo der kostbare Impfstoff entwickelt worden war, hatte gegenüber anderen Ländern, die bei Biontech schneller zugegriffen hatten, plötzlich das Nachsehen. Sahin und Türeci haben sich aus diesem Debatten stets herausgehalten.

Nur einmal äußerte sich Sahin in einem Interview mit dem „Spiegel“ doch ein wenig erstaunt darüber, dass die EU nicht frühzeitig mehr bestellt habe. Auch der Preis für den Impfstoff wurde unlängst zum Politikum.

Als aus politischen Kreisen durchgestochen wurde, dass die Firma mehr als 54 Euro pro Impfdosis verlangt haben soll, stand Biontech plötzlich als Wucher-Firma da. Dabei, konterte Sahin kurz darauf, habe man den Industriestaaten lediglich einen frühen Preis von 15 bis 30 Euro pro Dosis genannt und erst anschließend ein konkretes Preismodell errechnet.

Gerade wegen solcher Erfahrungen hält sich die kleine Firma weiterhin aus der großen Politik heraus – und mit Kritik jeglicher Art vornehm zurück. Die Mainzer haben ohnehin alle Hände voll damit zu tun, die Produktion des Impfstoffes weiter hochzufahren.

Erst recht, seit die Impfkampagnen mit dem Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca wegen schwerer Nebenwirkungen in mehreren Ländern gestoppt wurden. Sahin und Türeci äußern sich auch dazu nicht.

Doch ihre grundsätzliche Position zum vermeintlichen Wettkampf um die Impfstoffe gegen Corona haben die beiden schon sehr früh klargemacht: Es gehe nicht um einen Wettlauf der Unternehmen untereinander. Sondern einzig und allein um den der Menschen gegen das Virus.

Quelle: Welt – Anja Ettel

https://www.msn.com/de-at/finanzen/top-stories/die-geschichte-hinter-dem-unglaublichen-aufstieg-der-deutschen-impfstoff-helden/ar-BB1eHzDi?ocid=msedgdhp

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